Entdecken-Schmökern RB27 Heimathelden: Französisch für AnfängerInnen
Heute wandere ich als NEB-Rotkäppchen durch den Barnimer Wald, im Körbchen Kekse und Mundschutz dabei, um im angrenzenden Basdorf nicht das Großmütterchen, sondern ein umtriebiges Ehepaar zu besuchen. Deren Projekt, das Chansonfestival „Brassens in Basdorf“, hat dem Wandlitzer Ortsteil weit über die Grenzen hinaus Ruhm beschert.
Jetzt setzt erstmal noch Schneeregen ein, ich senke den Kopf Richtung Boden, wo winzige Moose in Neongrün rebellieren: „Schau uns an, du Weichei! Uns macht das alles gar nichts aus! Die Kälte, die Düsternis, die Pandemie – gar kein Problem!“ Das Moos vor Basdorf scheint mir der Jackie Chan unter den Mikrogewächsen zu sein… klein, aber knallhart! Daran kann man sich ein Beispiel nehmen, denke ich noch, dann schweift der Blick tief in den Wald. Hier ganz in der Nähe muss es sein, die Reste der Flugzeugmotorenwerke, Gebäudemauern und eine alte Zufahrtsstraße, überwuchert von Gras und Bäumen, die Storys erzählen und fürchterliche Geschichten, so wie es sich für einen Märchenwald gehört. Nur das diese vom jungen Georges Brassens, der hier 1943 als Zwangsarbeiter landete, ganz real ist, und das sorgt für dieses mulmige Gefühl im Bauch. Der Franzose Georges Brassens, das muss man wissen, war Komponist und Dichter. Keiner von den staubigen, sondern ein aufmüpfiger und lustiger mit tiefdunklen Augen, der mit seiner Art Chansons zu singen erst Frankreich und bald die ganze Welt verzauberte. Dessen Lieder in seiner Heimat auch mal verboten wurden, weil politisch inakzeptabel. Heute gibt es ein Museum, internationale Festivals und einen hartnäckigen Fankult um Brassens, ähnlich wie um Edith Piaf. Allerdings war daran im Zweiten Weltkrieg, als er hier für ein Jahr in Zwangsarbeit geriet, noch nicht zu denken. Als sich 60 Jahre später durch Zufall durch einen Anruf eines Künstlers aus Frankreich herausstellte, dass dieser Weltklasse-Typ seine Spuren in Basdorf hinterlassen hatte, war Marion Schuster und Jürgen Günther klar, dass hier ein Schatz gehoben werden, ein Andenken lebendig gehalten werden musste.
An ihrem Holzhaus eingetroffen, knistert drinnen ein Feuer. Wie unfassbar gut die Wärme hier tut! Und ich spreche nicht mal von der des Ofens. Beide haben diese Art im Umgang miteinander, vertraut und voller Respekt, dass ich unmerklich lächeln muss. Trotz des schlohweißen Haars wirken sie nicht alt, erzählen in lebhaften Bildern von ihrer Zeit als Lehrer, über Festivalorganisation, Ungerechtigkeiten und Chancen im Lockdown, der eine Gelegenheit zur inneren Einkehr ist, wie sie es nennen. 2004 gründeten sie, damals mit Peter Liebehenschel und anderen Unterstützenden, den Brassens in Basdorf e.V. und richten seither jährlich ein Festival für den großen Georges aus – nicht nur in Basdorf, sondern an verschiedenen Orten in Barnim und Berlin. Dann kommen Musikerinnen und Musiker aus Chile, Frankreich oder Spanien, um gemeinsam mit Kunstschaffenden aus der Region seine Lieder zu spielen – und Basdorf erlebt eine wundersame Wandlung, wenn französisches Flair durch die Straßen zieht. Dann wird auf Plätzen und vor Cafés gelacht und sich zugeprostet auf einen herrlichen Tag und die Freundschaft. Gerade Letztere kam bei Brassens immer an erster Stelle.
Auf meinem Weg nach Hause ist der Zug fast leer. Der Kopf aber ist voller Eindrücke und auch Vorfreude, denn das Festival soll mit Auflagen auch in diesem Sommer kommen – hoffentlich! Bis dahin werde ich noch einige Male durch den Wald wandern, mit knallharten Moosen auf den Wegen und Musik von Georges Brassens in einer Reggae-Version auf meinem Kopfhörern.
Der gemeinnützige Verein Brassens in Basdorf e.V. wurde 2004 von Marion Schuster, Jürgen Günther und anderen gegründet. Jedes Jahr richtet dieser neben dem Gründungsfest auch ein Chansonfestival an verschiedenen Orten in Basdorf und Berlin zu Ehren des Komponisten aus, um Georges Brassens' Werk lebendig zu halten und weiter bekannt zu machen. Infos unter www.festival-brassens.info.
Zugezogen aus Berlin ins Brandenburger Land sucht unsere Kolumnistin Jackie A. erst mal nach allem: dem Anschlussbus, einer guten Bäckerin, neuen Freunden und Menschen, die etwas in ihrer Region bewegen. Für die NEB fährt sie durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes schaffen – unsere Heimathelden.