Entdecken-Schmökern Die Reaktivierung von Hein Lüttenborg

Die Bahnstrecke „Hein Lüttenborg“, die die Orte Malente und Lütjenburg nahe der Ostsee verbindet, ist seit Jahrzehnten stillgelegt. Nun wurde sie aus dem Brombeerschlaf geschnitten und ist mit Draisinen befahrbar. Ein erster Schritt in Richtung Zukunft, die dem autonomen Fahren mit Solarantrieb gehören soll.

Vor allem im ländlichen Raum wurden seit den 1990er-Jahren über 5.000 Kilometer an Bahnstrecke stillgelegt. Im Zuge der Verkehrswende bietet es sich eigentlich an, diese zu reaktivieren – immerhin sind die Gleise schon vorhanden und die Genehmigungsverfahren weniger aufwendig als bei Neubauten. Dennoch sind die Prozesse der Reaktivierung und der Widerstand in der Bevölkerung vielfach groß: Man befürchtet Zugpfeifkonzerte vor unbeschrankten Bahnübergängen, man ist langsamer und aufgrund der geringen Taktung unflexibler als mit dem Auto und die Strecken können mit den herkömmlichen Triebwagen nur unrentabel betrieben werden.

Doch es geht auch anders: Sven Ratjens ist mit 33 Jahren wohl einer der jüngsten und idealistischsten Bahnchefs Deutschlands – er hat mit dem Urgestein der Verkehrswende, Prof. em. Dr. Heiner Monheim, einen Verein gegründet, um die 17 Kilometer lange Strecke Malente – Lütjenburg zu kaufen. Die beiden sehen, angesichts der Klimakrise, die dringende Notwendigkeit im schnellen Wandel des Verkehrswesens, sind aber gleichzeitig von der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit ihrer Strecke überzeugt. Die eingleisige Inselstrecke, die im Volksmund liebevoll „Hein Lüttenborg“ genannt wird und 1976 für den Personenverkehr geschlossen wurde, ist vom restlichen Schienennetz isoliert. Sie bildet also einen geschützten Raum, in dem ungestört an wirtschaftlichen Lösungen für diese Art von stillgelegten Strecken geforscht werden kann. In der Forschungsinitiative REAKT unter der Federführung der Universität Kiel haben sich mehrere Hochschulen und diverse Unternehmen zusammengeschlossen, um dieses Reallabor für Forschung und Entwicklung des autonomen Bahnverkehrs zu nutzen.

Erst im April dieses Jahres konnten 150.000 Euro an Forschungsgeldern eingeworben werden, mit denen Forschende der Uni Kiel Methoden der künstlichen Intelligenz ausloten, um die technische Infrastruktur für den autonomen Personen- und Güterverkehr zu verbessern. Autonomes Fahren ist im Schienenverkehr einfacher umsetzbar als im Straßenverkehr, da durch die Spurführung keine Lenkung durch Menschen notwendig ist. Man umgeht so einerseits den Fachkräftemangel vor allem bei der Aussicht auf kleinere Gefährtgrößen, die in hoher Taktzahl fahren. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz soll andererseits insbesondere beim Erkennen von Störfaktoren helfen (z.B. bei Bahnübergängen) und die technischen Systeme zukünftig wartungsärmer, verlässlicher und langlebiger machen – mit modernen Mitteln könnten demnach die Kosten gesenkt werden, die für den Betrieb einer Bahnstrecke anfallen.

Letztlich soll ein Zubringerdienst entstehen, der möglichst klimaneutral die Anbindung an ein größeres Schienennetz oder die nächste Ortschaft gewährleistet. Per App sollen die einzelnen Wagen an die jeweilige Haltestelle geordert werden können, man ist also nicht mehr an einen Fahrplan gebunden. Diese Idee der Streckenreaktivierung mithilfe von autonomen Rufbahnen wird auch andernorts verfolgt – z.B. bei monocap owl, das elektrisch betriebene Einschienenbahnen entwickelt, für die die beiden Schienen von herkömmlichen Gleisen für zwei verschiedene Fahrtrichtungen nutzbar gemacht werden sollen (vgl. Artikel dazu im NEB-Express Dez 19/Jan 20). Bei Hein Lüttenborg setzt man auf SolarTrams, die durch Querverschub aneinander vorbeifahren und die irgendwann sogar die letzten Kilometer bis zur Ostsee ohne Schienen schaffen sollen.

Doch vorerst setzt man auf die Kraft der Pedale: Schon jetzt ist der Naturpark Holsteinische Schweiz klimaneutral und abgasfrei befahrbar und für Touristen, Familien oder Gruppen mit Picknickkörben attraktiv. Die harmlosen Draisinen … sie scheinen das Potenzial zu bergen, ein Umdenken herbeizuführen.

Weitere Informationen zum Verein Schienenverkehr Malente-Lütjenburg und zum Fortschritt der Strecke: www.schiene-m-l.de Regelmäßige Aktualisierungen finden sich auch auf der Facebook-Seite des Vereins.

 


Text: Anna Büsching | Foto: NEB/Katja Tenkoul