Entdecken-Schmökern RB60 Heimathelden: Über Halb-Elfen, Hippies und schräge Sounds: ein Kulturmacher in Eberswalde

Mein Smartphone sagt, „noch 600 Meter bis zur Galerie Fenster“. Dort bin ich mit dem Kulturmanager Udo Muszynski verabredet. Übermütig zwitschern die Meisen in den Hecken, als ich durch das Neubaugebiet in Eberswalde eile. Vorbei an Sechsgeschossern, wie sie an vielen Orten der DDR gebaut wurden. Auch an meinem Schulweg standen sie, daneben das „Mehrzweckgebäude“. Dort fand in den 1980er-Jahren Jugenddisko mit DJ Pitt statt. Einmal forderte mich hier Tilo zum Tanzen auf – langsame Runde! Der Titel „The Power Of Love“ fühlte sich endlos an. Tellergroße Schweißabdrücke zeichneten sich unter seinen Achseln ab und als das Lied endlich zu Ende war, wollte ich nur noch raus: aus der Disco, der Pubertät und aus dem Osten sowieso. Die Platte brachte mir erst Glück, als ich sie verließ.

Bei Udo Muszynski verhält es sich genau andersherum. Er entdeckte den Plattenbau als jemand, der sich mit ungewöhnlicher Nutzung von Räumen und Kulturpolitik beschäftigt. Im Brandenburgischen Viertel sah er Potenzial für ein kreatives Zentrum, sein Büro und das Zuhause für die „Galerie Fenster“. Als ich durch die hellen Räume flaniere, flimmert das Quietschgrün junger Blätter durch die Fenster. Udo versorgt mich mit Keksen und erklärt mir die ausgestellten Bilder. Er ist ein eher ruhiger Typ und ich bin, wie so oft, überdreht. Während ich für den Text hier fotografiere, mache ich auch ein bisschen Quatsch. Dabei wird klar, dass Udo Humor hat: so einen leisen, verschmitzten. Für einen, der schon mehrere Auszeichnungen für seine Projekte erhielt – allein viermal den „APPLAUS“ für die Veranstaltungsreihe „Guten Morgen, Eberswalde“ – wirkt er bescheiden. Dabei ist die Reihe etwas Besonderes.

Sie entstand, als im Jahr 2005 die Stadt Eberswalde begann, ihr unterkühltes Stadtzentrum neu zu erfinden. Was braucht ein öffentlicher Raum, damit sich Menschen darin wohlfühlen? Darüber hatte er sich viele Gedanken gemacht. Er entwickelte Programme für Räume, die eigentlich nicht für Konzerte gedacht waren: Gespielt wurde auf Vorplätzen, in Gartenanlagen oder im Rohbau des Paul-Wunderlich-Hauses – und immer wieder auf dem Marktplatz.

Über 825-mal fand „Guten, Morgen Eberswalde“ schon statt – kostenlos jeden Samstag ab halb elf. Ohne seine „Halb-Elfen“, wie er die Ehrenamtlichen nennt, hätte das nie funktioniert, sagt er. Auch, dass nicht jeder sofort Fan war. „Wir machen kein kommerzielles Programm. Wir waren die Hippies mit der schrägen Musik“, witzelt er. Es ergaben sich Gespräche am Rande der Konzerte, an deren Ende aus Skepsis sogar Sponsoring wurde.

Udo ist gebürtiger Berliner; war in der DDR aktiv in der Bürgerbewegung „Neues Forum“. Als Mittzwanziger bezog er mit Gleichgesinnten ein leerstehendes Anwesen im Wald in der Nähe von Eberswalde. Der Gedanke war, in einer Gesellschaft, die sie für nicht reformierter hielten, eine neue Zelle zu gründen, vielleicht sogar den Grundstein für ein autarkes Dorf. Es gab sogar ein eigenes kleines „Woodstock“, das „Ruhlsdorfer Fest“. Ich kann kaum glauben, was ich da höre: autarke Zelle … im Osten! Für die Beteiligten muss das gefährlich gewesen sein. Die Stasi war allgegenwärtig und schon der Verdacht eines „dekadenten“, unangepassten Lebensstils konnte Gefängnis bedeuten.

Pünktlich zur Wende 1989 zog er aus dem Umland in die Stadt Eberswalde. In dieser Zeit herrschte eine Art Vakuum; es gab es so gut wie keine Veranstaltungen mehr. Udo begann damit, selbst zu organisieren: Jazzkonzerte in leerstehenden Gebäuden, Kunstgalerien in Garagen, Kellerdiskos für Studierende. Die Reihe „Jazz in e.“ fand hier ihre Wurzeln.

Ich schrecke auf, als jemand hinter mir „Hallo!“ ruft. Unmerklich hatte sich die Galerie gefüllt. Besuchende schauen sich Bilder an oder setzen sich zu uns. „Das hab ich noch gar nicht gewusst!“, kommentiert eine Frau lachend Udos Ausführungen über sein Leben in der Kommune (er selbst nennt es lieber Wohngemeinschaft). Ich würde gern noch mehr darüber hören, aber einen Zug habe ich schon verpasst. Als ich die Galerie verlasse, steht die Sonne schon tief, hinter den Häusern.

 

Udo Muszynski ist 1961 in Berlin geboren und seit 1992 Veranstalter und Kulturmanager in seiner Wahlheimat Eberswalde. Für seine Veranstaltung „Guten Morgen Eberswalde“ hat er im letzten Jahr den Bundespreis „APPLAUS“ gewonnen.

Jackie A. ist Kolumnistin für das Magazin tip berlin. Für die NEB fährt sie durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes für unsere Region schaffen.

 


Text und Foto: Jackie A.