Entdecken-Schmökern RB12 Heimathelden: Taxis für Ukrainerinnen, Reifenpannen in Tadschikistan

Jackie A. fährt mit der NEB durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes für unsere Region schaffen.

Am Bahnhof springt Marcella aus dem Auto, groß, mit langen Haaren, im blauen Arbeitsoverall. Niemand hat behauptet, dass Helden nicht wie Models aussehen können, und dies war das erste, was mir hier in Zehdenick auffiel, auch wenn es nicht wirklich wichtig war.

Marcella und ich wollten heute eine Wanderung machen, das würde im Ortsteil Neuhof besonders gut gehen, meinte sie in der letzten WhatsApp- Nachricht – da schien aber auch och die Sonne. Und jetzt standen wir in einem dieser legendär verlassen wirken-den Wartehäuschen im Niemandsland, machten Fotos im Regen und sie sagte: „Komm, ich zeig dir die Werkstatt.“

Bald liefen wir über asphaltiertes Gelände, kamen in diese hohe Halle. Autos parkten da, ein Boot auf einem Holzgestell, und ganz hinten an einem Kleinbus werkelte Freund Paul. Marcella erzählte, wie sie zusammenkamen. Zehn Jahre kannten sie sich schon, als sie in dieser Nacht auf einer Party ins Gespräch kamen, stunden-lang ging das. Ein paar Tage später ist sie Paul, der in einem Kleinbus die Welt bereiste, in die Mongolei gefolgt. Seither leben und reisen sie zusammen – ein Lebensentwurf, bei dem sie mit wenig Geld auf kleinstem Raum zurechtkommen müssen, dafür aber über unbegrenzt Zeit und Natur verfügen.

Die Welt als niemals langweiliges Wohnzimmer, das einem zu jeder Zeit offen steht … während Paul am liebsten an der Autotechnik schraubt, kümmert sich Marcella um die Inneneinrichtung. Das klingt vielleicht nach Klischee, ergibt aber Sinn, denn Marcella ist Interieur-Designerin und das Einrichten ihr Beruf. Zu Beginn der Pandemie haben sich Paul und Marcella eine feste Adresse gesucht, leben nun zwischen den Reisen in einem Haus in Zehdenick. „Als die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine kamen, war klar, dass wir uns einbringen wollten“, erzählt Marcella. Sie haben dann einer Familie aus Kiew die untere Etage des Hauses überlassen. Sie selber hätten auch immer wieder Hilfsbereitschaft auf ihren Reisen erfahren. Einmal hatten sie eine Autopanne in unwirklicher Gegend in der Nähe eines Bergdorfes in Tadschikistan. Die Menschen lebten in Häusern aus Lehm und Kuhfladen ohne Strom oder Kanalisation. Ob sie hier bestohlen werden würden, hatten sie sich nachts gefragt. Und dann wurden sie zum Essen eingeladen, bekamen Hilfe bei der Reparatur, ohne dass jemand auf Gegenleistung spekulierte. Egal, an welchen Ecken der Welt sie gerade waren, immer wieder haben sie positive Erfahrungen gemacht. Und jetzt kam die Gelegenheit, etwas zurückzugeben.

Beinah zeitgleich mit dem Einzug der Ukrainerinnen in ihr Haus hatten Freundinnen von ihr einen Fahrservice von Frauen für Frauen auf der Flucht gegründet. Marcella half Taxiservice for Peace“ bei der Koordination der Fahrten, später Vermittlung von Unterkünften und Hilfsgüter-Transporten. Mittlerweile ist die Initiative auf eine über 4.000 Frauen und Männer große Gemeinschaft gewachsen, bei der jeder unentgeltlich neben seiner Arbeit hilft. Auch wenn niemand seine Einsätze dort als Arbeit empfindet, sind sie auf Spenden angewiesen für Tankfüllungen, mit denen Ukrainerinnen, vorwiegend Mütter mit Kindern und ihren Haustieren, auch in diesem Moment gerade wieder an der Grenze aufgelesen und auf sichere Orte verteilt werden. Marcella ist nicht mehr in der Koordination aktiv, unterstützt die Initiative aber weiterhin – auch indem sie hier darüber berichtet. Bei der Verabschiedung habe ich ihr eröffnet, dass sie hier unter der Rubrik „Heimathelden“ vorgestellt wird. Ich habe ihr erzählt, dass echte Helden immer extrem skeptisch reagieren, wenn ich sie als solche vorstellen will. Da lacht sie: „Find ich nicht so schlimm.“ Hauptsache, der „Taxiservice for Peace” wird vorgestellt. Die können jede Unterstützung gebrauchen.

 

Marcella Thurau, 1988 in Berlin geboren, arbeitet als Interieur-Designerin und Sachbuch-Autorin. Sie half „Taxi for Peace e. V. “ aufzubauen, eine spendenbasierte Hilfsinitiative, bei der Geflüchteten aus der Ukraine Transport und Wohnraum vermittelt werden. Informationen und Spendenmöglichkeit unter www.taxiforpeace.de.

Jackie A. ist Kolumnistin für das Magazin tip berlin. Für die NEB fährt sie durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes für unsere Region schaffen.

 


Fotos auf dieser Seite: Jackie A. | privat