Entdecken-Schmökern Heimathelden: Die Juras - Eine schrecklich verspielte Familie

Jackie A. fährt mit der NEB durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes für unsere Region schaffen. Ein Ausflug zu Spiele-Erfindern...

Wenn Menschen tagtäglich mit Fantasie leben und arbeiten, dann merkt man das sofort. Dann fühlt sich das aufregend und fröhlich an, wie hier an einem Holzhaus in Mahlsdorf, gelegen zwischen alten Kiefern am Hultschiner Damm. An der Häuserwand hängen bunte Bilder und am Garten­zaun ehemalige Zigarettenautomaten, an denen man kleine Spiele kaufen kann. Ich bin hier verabredet mit dem Spieleentwickler Justin und seiner Mut­ter, der Illustratorin Susanne Jura, und als ich eintrete in Susannes Holzhaus, Justin lebt mit Frau und Kindern eben­falls in Mahlsdorf, fühlt es sich wie in einer Wundertüte an. Überall gibt es etwas zu entdecken: Illustrationen, Keramikfiguren, antike Puppen und jede Menge Bücher. Wir setzen uns in die Küche und auf dem Herd köchelt Gemüsesuppe. Eine Tür quietscht und durch einen Spalt schaut neugierig 
eine Katze herein. Eine andere wird sich später auf Susanne Juras Schoß setzen und sich während des gesamten Gesprächs genüsslich streicheln lassen, insgesamt drei wohnen hier.

Echte Katzen­Fans sind die Juras also und ganz schön verspielt – wohl eine Voraussetzung, wenn man auch beruf­lich Spiele entwickelt. Aber zuerst ist da die Leidenschaft, denn gemeinsam mit Familie und Katzen am Tisch zu sitzen, sich zu unterhalten und zu spie­len, ist etwas, das hier über Generati­onen betrieben wird. Das Spieleentwi­ckeln, das gemeinsame Austesten und der Spaß am Frickeln sind mitunter eine komplexe mathematische Ange­legenheit, etwas, das Justin Jura genau wie seine Mutter beherrscht. In dem von ihm gegründeten Alexsa­Verlag werden Bücher und selbstentwickelte Spiele verlegt. Beinahe alle sind von Susanne Jura illustriert. Als ausgebil­
dete Szenografin hatte sie in der ehe­maligen DDR als Bühnen­und Kostüm­bildnerin gearbeitet, später bei der legendären Jugendzeitschrift FRÖSI die Bastelbögen gestaltet. In den letzten Jahren arbeitete sie als Puppendok­torin, restaurierte antike Familienstü­cke. Ich werde durch den Ausstellungs­raum geführt, Hunderte Karten und 
Würfelspiele sind da, die Illustrationen detailreich und liebevoll, Bücher und Spielekonzepte spannend. Beim Gesell­schaftsspiel „Minipilo“ beispielsweise geht es um das Erbauen einer Welt ohne Geld.

„Wie könnte es sein, ohne dieses dumme Geld? Das hatte ich mich ge­fragt“, erzählt sie. „Ich hatte utopi­sche Romane gelesen, aber keine Ant­worten gefunden. Als ich mein Buch fertig hatte, bemerkte ich, dass man ein Spiel draus machen könnte.“
Sohn Justin, der viel um die Welt reiste, als Übersetzer und Systemadministra­tor arbeitete, hatte die Zeit der Pan­demie für einen Neustart genutzt und eine Ausbildung zum Lokomotivführer absolviert. Mittlerweile, erzählt er, kann er fast alle Baureihen fahren. „Wäh­rend der Ausbildung hatte mich das Thema nicht mehr losgelassen. Es gibt 
ja Zugspiele, aber ich fand, die haben nicht viel mit der heutigen Realität zu tun. Bei ‚Trains of Europe‘ wollte ich den europäischen Eisenbahnmarkt ab­ bilden.“ Justin packt nun einen blauen Karton aus, klappt eine Karte auf mit Streckennetzen. „Jeder Spieler ist Unternehmer, kann sich seine Strecken erschließen, Fahrzeuge kaufen, kann 
wirtschaftsstrategische Entscheidungen treffen“, erklärt er. Als Zukunftsvision ist auch eine Computerspiel­Version denkbar, mit real existierenden Strecken auf der ganzen Welt über eine Open­railwayMap. „Ein kleines Metaverse, in dem die Welt als Spielfeld dient und du gleichzeitig sehr viele Spieler verteilt auf den Kontinenten haben kannst.“

Noch in diesem Jahr soll das Brettspiel erscheinen. Wie zur Bestätigung ist ein lautes Miauen aus dem Nachbarzimmer zu hören und wir müssen jetzt lachen. 
Wir unterhalten uns noch lange über Spielemessen, Herausforderungen wie überstandene Krankheiten oder darü­ber, nach der Wende wieder Fuß zu fas­sen. „Wir haben das Glück, mit relativ wenig Geld auskommen zu können“, sagt Susanne Jura. Kein Wunder, denke ich. Das Kapital steckt ja in ihnen selbst, die Freude am Spielen und For­schen. Was für eine tolle Inspiration. 

Susanne Jura ist Illustratorin und Autorin und hat als „Puppendoktorin“ Dutzende Puppen im ganzen Land restauriert. Sohn Justin Jura ist Lokomotivführer und Spieleentwickler. Im selbstgegründeten Alexsa­Verlag erscheinen die Spielentwicklungen der Familie. 
www.alexsa­verlag.de

Jackie A. ist Kolumnistin für das Magazin tip berlin. Für die NEB fährt sie durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes für unsere Region schaffen.


Text und Fotos: Jackie A.