Entdecken-Schmökern RB60 Heimathelden: Kanaltheater - Wuttiere im Gewerbegebiet

Jackie A. fährt mit der NEB durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes für unsere Region schaffen. Wie ihr Ausflug in das Kanaltheater zeigt.

 

Frisch ist es in Eberswalde und als ich die Hubbrücke überm Finowkanal nehme, dreht der Wind richtig auf, formt aus meinem Haar immer neue futuristische Gebilde, bis er, angekommen an den roten Backsteinbauten des Rofin-Gewerbepark, abzieht und mich stehen lässt, als hätte es den Friseurbesuch von vorhin nie gegeben. Die Absätze klackern, während ich über das Kopfsteinpflaster des Geländes eile, dabei in die beleuchteten Fenster kleiner Läden schaue, darin Menschen, die sich unterhalten oder vorm Kamin sitzen. – Singen die da? Ein Verein mit lustigem Namen, Schmatzkammer, Werkstätten und Proberäume von Bands, auch die vom Kanaltheater befinden sich hier. Und gleich würde ich sie von innen sehen, denn ich bin mit den Leiterinnen des Theaters, der Regisseurin Heike Scharpff und Dramaturgin Katja Kettner, verabredet. Da hinten seh’ ich sie schon kommen! Wir nehmen zwei Treppen eines Backsteinhauses und Katja schließt die Tür auf. Überraschung: Der rote Kopf eines überdimensionierten Wuttiers starrt mich an, Figur aus einem der Stücke. Und kalt ist es hier. Kostensparen gehört zur Theaterrealität. – Selbst dann noch, wenn man, wie das Kanal - theater, gerade eine Fördersumme für die nächsten drei Jahre erhielt. Eine Auszeichnung, zu der sogar die Kulturministerin Manja Schüle persönlich vorbeikam.

Mit Heike und Katja sitze ich um einen winzigen Tisch. Beide wirken ruhig, aber ausgeschlafen, sind alte Häsinnen im Kulturbetrieb, die bereits Dutzende Projekte umgesetzt hatten, bevor sie sich kennenlernten. Die Großstädterinnen – Katja lebt in Berlin, Heike in Berlin und Frankfurt am Main – haben ihre Standbeine in Eberswalde wechselweise in WG-Zimmern, einem ausgebauten Bauwagen oder auch einer Gartenlaube.

Kennengelernt haben sie sich vor elf Jahren. Da suchte Heike im Internet nach einer Produktionsleitung für ihr Stück. Seither beackern sie gemeinsam mit ihrem Team die Themen des Kanaltheaters. Witzig und unterhaltsam sind die, gleichzeitig greifen sie harte Realitäten mit Regionalbezug auf – ein echter Spagat. Dazu werden aufwendige Bühnen und Kostüme her - gestellt, an wechselnden Orten Infrastruktur wie Strom und Bühnen aufgebaut, denn einen festen Spielort gibt es nicht. Für ihr Kanaltheater ist die Stadt die Bühne und ins Konzept gehört, die Menschen vor Ort einzubeziehen. Da wird die Feuerwehr integriert, Jugendliche oder experimentierfreudige Anwohnende.

Dabei war der Theaterbetrieb nie geplant, begann als einzelne Projektidee. Gemeinsam mit dem Jugend- und Kulturverein Exil brachte man Texte von Brecht als Stück aufs Gelände – eine Adresse mit hochsensibler Geschichte, die früher als Außenlager des KZ Ravensbrück diente. Um sie als Erinnerungsort wieder aufzubauen, wurde viel Aufwand betrieben. „Könnt ihr hier nicht mehr machen?“, wurden sie damals gefragt – die Geburtsstunde des Kanaltheaters.

In den letzten zehn Jahren entstanden Stücke über den Klimawandel, über die Macht von Wut oder die Apokalypse. „Müsst ihr denn immer so schwere Themen machen?“, ist eine Frage, die sie öfter hören. „Wir sind ja kein Lustspiel-Theater. Das ist unsere Form der Auseinandersetzung. Wir möchten unterschiedliche Leute zusammenbringen, der Blasenbildung etwas entgegensetzen“, sagt mir Katja.

Den Wunsch hatten sie sich trotzdem gemerkt und für Eberswalde ein Stück übers Paradies gemacht. Dazu wurde mit 70 Tonnen Sand ein Traumstrand auf dem Rofinpark aufgeschüttet. In dem Stück ging es um die Sehnsucht nach einer heilen Welt, aber auch um die Manipulationstechniken von Sekten, die damit arbeiten.

Mit den Fördergeldern nun wollen sie ihre Projekte weiter ausbauen, zudem ein jährliches Theater- und Performance-Festival organisieren. „Das Fest“ findet zusammen mit dem Kulturcamp für Nachhaltigkeit vom 27. bis 30.Juni statt.

Regisseurin Heike Scharpff produziert seit
2004 freie Theaterarbeiten im ganzen Land.
Katja Kettner arbeitet seit 2002 freischaffend
und ist seit Beginn Dramaturgin des Kanaltheaters.
Zusammen leiten sie seit 2013 das Kanaltheater.
| www.kanaltheater.de 

Jackie A. ist Kolumnistin für das Magazin
tip Berlin. Für die NEB fährt sie durch
Ostbrandenburg und trifft Menschen, die
Besonderes für unsere Region schaffen.