Entdecken-Schmökern RB27 NEB Nachkriegswirren

Die Heidekrautbahn wird 120 Jahre alt – wir werfen daher einen Blick in die Geschichte der Niederbarnimer Eisenbahn. In Teil 4 folgen wir der Heidekrautbahn durch die Zeit von 1945 bis 1950.

Der 1943 ausgelieferte T5 überquert den Oder-Havel-Kanal bei Zerpenschleuse.

1945. Der Zweite Weltkrieg war beendet, doch die Folgen sollten – wie überall – auch bei der Heidekrautbahn noch lange zu spüren sein. Die Kanalbrücken waren gesprengt, Liebenwalde und Groß Schönebeck vorerst nicht mehr zu erreichen. Der Bahnhof Wandlitzsee war noch am 8. Mai 1945 in Brand gesetzt worden. Teile der Bahnstrecke wie auch der Bahnhof Zerpenschleuse waren vermint. Immer wieder wurden ohne Ankündigung Vermögenswerte beschlagnahmt und abtransportiert, andere zurückgeführt. Allein die Rote Armee konfiszierte unter anderem vier große Lokomotiven. Trotzdem gelang es, ab 13. Juni 1945 wöchentlich ein Zugpaar zwischen Berlin und Basdorf auf die Reise zu schicken. Schon ab Oktober kamen täglich drei Zugpaare zum Einsatz. Wie viele Fahrgäste 1945 mit der Heidekrautbahn unterwegs waren, ist unbekannt – zu viele waren ohne Fahrschein auf Hamsterfahrt, um mit anderen Halbverhungerten aus Berlin etwas Essbares aufzutreiben.

Die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) war bestrebt, die Kriegsschäden so schnell wie möglich zu beseitigen. Bereits am 5. Mai 1947 konnte über eine hölzerne Behelfsbrücke bei Kreuzbruch weiter bis zum Langen Trödel und ab 1948 wieder bis Liebenwalde gefahren werden. Neben dem baulichen Neuanfang hatte die Entnazifizierung oberste Priorität: Ein neuer Aufsichtsrat wurde bestellt und der Vorstand ersetzt.

Am 24. Juni 1948 begann auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) die Blockade Westberlins. Die fortschreitende Teilung der Stadt Berlin hatte für die NEB nachhaltige Konsequenzen. Am 13. Juli begann der Wiederaufbau des 1945 demontierten Berliner Güteraußenrings sowie einer neuen Gleisverbindung zwischen Berlin-Karow und Schönwalde. Bis zur Fertigstellung des Außenrings 1958 sollte Westberlin von Karow aus über einen Teilabschnitt der Heidekrautbahn weiträumig umfahren werden.

Mit Wirkung vom 1. April 1949 übernahm die Deutsche Wirtschaftskommission für die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) die Verwaltung und Nutznießung aller in der SBZ liegenden, nicht reichsbahneigenen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs. Das Eisenbahnvermögen von Gesellschaften mit Sitz in Berlin wurde konfisziert, soweit es außerhalb des Berliner Stadtgebietes lag. Die Aufzählung der letztendlich enteigneten Eisenbahnen war lang und kannte offenbar nur eine Ausnahme: die Niederbarnimer Eisenbahn-Aktiengesellschaft. Später wurde viel spekuliert, warum ausgerechnet bei der NEB Enteignungsversuche erfolglos blieben. Sicherlich war neben dem erwarteten Widerstand der Westalliierten von Bedeutung, dass über die Anteilseigner keine ausreichende Klarheit bestand. Dennoch gelang es dem Ostberliner Magistrat, die Vermögenswerte der Niederbarnimer Eisenbahn unter seine Kontrolle zu bringen. Am 16. Januar 1950 wurden der Vorstand Kräwinkel und weitere Angestellte für wenige Tage festgenommen. Als Vorwand dienten von östlichen Finanzbehörden nicht genehmigte „Westmarkgeschäfte“. Kräwinkel wurde als Vorstand abberufen. Worum es wirklich ging, verriet die Niederschrift über die außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrates am 27. Januar 1950 im Sitzungssaal des Ostberliner Magistrats: Die Deutsche Reichsbahn sah im Austausch des Vorstands eine Möglichkeit, das Grundvermögen der Niederbarnimer Eisenbahn-Aktiengesellschaft für eigene Zwecke zu nutzen, was ihr als „Staatsbahn“ auf Privatbahngelände in den Westsektoren Berlins bislang verwehrt gewesen war. Am 30. Januar 1950 fassten die Verwaltungsratsmitglieder der Kommunalwirtschaftsunternehmen (KWU) des Kreises Niederbarnim den Beschluss, die Rechte aus dem Aktienbesitz des Landkreises Niederbarnim an die Reichsbahn abzutreten. Mit den Vollmachten der Großaktionäre ausgestattet, konnte der vom Ostberliner Magistrat neu berufene Vorstand am 28. Juni 1950 mit der Generaldirektion Reichsbahn einen Vertrag abschließen, der die Verwaltung und Nutznießung des Grundvermögens der NEB ab dem 1. Juli 1950 durch die Deutsche Reichsbahn festlegte. Damit nicht der Eindruck entstand, dass es sich doch um eine Enteignung handelte, beließ man drei Gebäude in der Zuständigkeit der NEB. Alles Übrige stand fortan in der Zuständigkeit der Deutschen Reichsbahn.

Dem Vertragstext wurde ein § 10 angehängt, der vierzig Jahre später von ausschlaggebender Bedeutung sein sollte: „Die Verwaltung und Nutznießung endet durch Vereinbarung zwischen der Niederbarnimer Eisenbahn A.G. und dem Generaldirektor der Reichsbahn. Es ist vorgesehen, nach Wiederherstellung der Einheit Berlins eine neue Vereinbarung zu treffen.“ Parallel erfolgte die Generalinventur aller übergebenen Bauwerke, Anlagen und sonstigen Gegenstände – von der einzelnen Lokomotive bis zum Büromaterial. Keiner konnte damals ahnen, dass diese penibel erstellte, endlos lange Liste ab 1991 Grundlage für die Verhandlungen zur Rückgabe der im Jahr 1950 übergebenen Vermögenswerte werden würde.

 

Dieser Artikel ist Teil 4 unserer Serie zum 120. Jubiläum der Heidekrautbahn und stammt aus der Ausgabe August/September 2021 unseres Fahrgastmagazins NEB-Express. Alle anderen Teile finden Sie hier oder in der Rubrik Entdecken & Schmökern.

Die Geschichte der Heidekrautbahn geht weiter: Informationen zur Reaktivierung der Stammstrecke finden Sie unter www.heidekrautbahn.de.

 


Bilder auf dieser Seite: Archiv der NEB Text und Redaktion: S. Tombrink | K. Tenkoul