Entdecken-Schmökern NEB Vom Spinnerclub zum Deutschlandtakt

Wenn man vom Lande kommt, ist es normal, einen Führerschein zu machen: Auf die Freiheit, die mit dem Autofahren einhergeht, möchte man nicht verzichten! Und doch gibt es sie, die Menschen, die führerscheinlos von A nach B kommen.

Öffentliche Verkehrsmittel sind in Metropolen wie Berlin oder Ländern wie der Schweiz bequeme und schnelle Alter- nativen zum Auto. „Schneller, häufiger und bequemer“ war denn auch die Devise des Schweizer Großprojekts Bahn 2000, das 1982 startete und das die Verlagerung des Individual- und Güterverkehrs auf die Schiene zum Ziel hat.

Neben Streckenausbau und Investitionen in eine moderne Fahrzeug- flotte wurde vor allem eine Neuerung lanciert: ein für die gesamte Schweiz geltender, integraler Taktfahrplan. Die Idee dazu entwickelten drei Herren – Samuel Stähli, Hans Meiner und Jean-Pierre Berthouzoz –, die sich zum sogenannten „Spinnerclub“ zusammentaten: In wöchentlichen Treffen in ihrer freien Zeit ersannen sie ein neues Fahrplankonzept. Ziel war es, die Bahnfahrt durch bessere Anschlussmöglichkeiten und geringere Wartezeiten zu vereinfachen, Reisezeiten zu verkürzen und das Reisen mit der Bahn bequemer zu machen.

Sie kamen darauf, alle Züge in einem festen, gleichbleibenden Takt an- und abfahren zu lassen. Dabei orientierten sie sich an der vollen Stunde als Taktgeber. Bahnhöfe größerer Städte, die von vielen Linien gekreuzt werden, bilden Knotenpunkte im Netz, bei denen die Bahnen zur vollen und mittlerweile auch zur halben Stunde fahren. Da- bei kommen sie kurz vor der Knoten- zeit an und fahren kurz danach wieder ab – damit wird die Zeit zum Umsteigen eingerechnet. Dieser Grundtakt von einer Stunde an Vollknoten wird um Viertelstunden erweitert, in denen dazwischenliegende Bahnhöfe oder Stationen anderer Städte zu Anschlussknoten ausgebaut werden können. Das System erleichtert für Reisende die Planung und Orientierung inner- halb des Fahrplans – schließlich kann man davon ausgehen, dass (außer nachts) spätestens in einer Stunde wie- der ein Zug in die gewünschte Richtung fährt. Die Planbarkeit wird durch integrale Taktfahrpläne aber auch für den Güterverkehr erhöht, was die Schiene wiederum attraktiver für die Logistik macht. Die Schweiz feiert Erfolge mit diesem Taktsystem, das vor genau vierzig Jahren eingeführt und seither perfektioniert wird.

Dieses Schweizerische System ist das Vorbild für den sogenannten Deutschlandtakt, bei dem in etwas größerem Maßstab ebenfalls eine deutschland- weite, integrale Taktung für den Nah-, Fern- und Güterverkehr angestrebt wird. Die Schwierigkeit integraler Taktfahrpläne liegt auf der Hand: Die Zeit, die für die Überwindung einer Distanz benötigt wird, hat dem vor- gegebenen Takt zu folgen. Bislang ist es in Deutschland aber umgekehrt. Bestimmt heute noch die Streckenführung die Fahrzeit, wird die Infrastruktur zukünftig so ausgebaut, dass sie in den Deutschlandtakt passt. Dadurch etablieren sich unter Um- ständen neue Knotenbahnhöfe im Netzwerk – wie zum Beispiel Erfurt, das für die bessere Erschließung von Deutschlands Osten eine große Rolle spielen wird.

Am Deutschlandtakt arbeitet zurzeit ein Zusammenschluss aus Politik, Wirtschaft und verschiedenen Ver- bänden. Das konkrete Ziel: Die Fahr- gastzahlen sollen sich bis 2030 verdoppeln und der Marktanteil des Schienengüterverkehrs auf 25 Prozent ansteigen. Die ökologischere Schiene soll so gegenüber der Straße auch ökonomisch attraktiver werden. Wie seinerzeit die Schweiz nach dem Motto „schneller, häufiger, bequemer“ die Hinwendung zur Schiene vorantrieb, wird der Deutschlandtakt – sehr ähnlich – mit „Öfter. Schneller. Überall.“ beworben. So wird das Konzept des „Spinnerclubs“ weitergetragen – bestenfalls in Richtung Europatakt.

 


Text und Redaktion: Anna Büsching, NEB | Foto auf dieser Seite: NEB/Lena Ganssmann