Entdecken-Schmökern RB27 NEB Wiedererwachen

Die Heidekrautbahn wird 120 Jahre alt – wir werfen daher einen Blick in die Geschichte der Niederbarnimer Eisenbahn. Nach der Wende erwacht die Heidekrautbahn aus langem Dornröschenschlaf – und verändert sich erneut.

Der neue NEB-Halt Berlin-Wilhelmsruh von oben (Visualisierung).

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 kommt für die Vorstände der Niederbarnimer Eisenbahn genauso überraschend wie für die Beschäftigten an der Heidekrautbahn. Die politischen Ereignisse der vergangenen vierzig Jahre hatten nicht nur Berlin geteilt. Die Betriebs- und Vorratsvermögen – Gleisanlagen, Stellwerke, Immobilien – sind in Ost und West verteilt; es gibt zwei Betriebsstätten und zwei Vorstände. 1950 hatte zudem die Deutsche Reichsbahn die „Verwaltung und Nutznießung“ fast des gesamten Eigentums der NEB sowie die Streckenführung unentgeltlich übernommen.

Die Kernfrage: Wie ist der Vertrag mit der Deutschen Reichsbahn von 1950 abzuwickeln? Bis 1998 schließt die NEB mehrere Vereinbarungen mit der Deutschen Reichsbahn. Nach und nach werden die Vermögen zurückgegeben; die DB leistet Barzahlungen und gebrauchsfähiges Oberbaumaterial für Instandsetzungsarbeiten, unter anderem für die Brücke über das Tegeler Fließ bei Schildow. Die beiden Betriebsstätten treten äußerlich erkennbar wieder als einheitliche Bahngesellschaft auf; die Gemeinden entlang der Heidekrautbahn wieder als Aktionäre eingesetzt. Anstelle des früheren Kreises Niederbarnim halten die neu gebildeten Landkreise BAR, OHV, MOL und LOS nun Anteile an der NEB.

Wieder voll handlungsfähig, kann die NEB langgehegte Pläne endlich in Angriff nehmen – ist sie doch gemäß Satzung vor allem eine Eisenbahn und nicht nur Immobilienverwaltung. 1993 übernimmt sie das ehemalige Bahnbetriebswerk, die Werkstatt und anderen Anlagen in Basdorf und eröffnet 1995 in der Bahnhofstraße 47 ein Verkehrsbüro. Ein ca. 25 Millionen DM schweres Programm zur Streckensanierung beginnt am 19. Januar 1999 mit der Sprengung der maroden „Elefantenbrücke“ über die Havel-Oder-Wasserstraße bei Ruhlsdorf-Zerpenschleuse. Im Juli 2000 übernimmt die NEB von der DB die alte Umfahrungsstrecke zwischen dem Abzweig Schönwalde und Einfahrsignal Berlin-Karow und bezieht diese zusammen mit den Haltepunkten Schönwalde und Schönerlinde in ihr Sanierungsprogramm ein. 2001 wird die Sanierung in Basdorf fortgesetzt: Gleise werden verlegt, ein elektronisches Stellwerk errichtet. Im gleichen Jahr erwirbt die NEB von der DB den stillgelegten Streckenabschnitt Wensickendorf – Schmachtenhagen und veranlasst die Wiederzulassung.

Doch die Rückgabe der Eisenbahninfrastruktur bedeutet nicht automatisch auch die Übernahme des Bahnbetriebs durch die NEB – durch die Bahnreform sind Netz und Betrieb getrennt. Auf der Heidekrautbahn fährt weiterhin die DB. Das ändert sich erst 2004: Die NEB erhält den Zuschlag für die Erbringung der Verkehrsleistungen auf der RB27 ab Dezember 2005.

Damit eng verbunden ist ein besonderes Vorhaben – die Reaktivierung der historischen Stammstrecke nach Berlin-Wilhelmsruh. Dort soll die Strecke nicht wie früher ebenerdig an der Kopenhagener Straße enden, sondern auf dem Damm der Nordbahn über Schönholz bis Gesundbrunnen fahren. Im Vorgriff auf diese angestrebte Entwicklung wird im Jahr 2000 ein Planfeststellungsverfahren für den Wiederaufbau der Trasse im Bereich Wilhelmsruh eingeleitet. Doch trotz des erteilten Planfeststellungsbeschlusses soll es noch mehr als 15 Jahre dauern, bis das Projekt Fahrt gewinnt: 2017 wird die Stammstrecke in das Infrastrukturprojekt i2030 der Länder Berlin und Brandenburg aufgenommen, und am 11. Dezember 2020 wird der erste Spatenstich in Wilhelmsruh gesetzt. Inzwischen sind die Entwurfs- und Genehmigungsplanungen für den Rest der Trasse erstellt und eingereicht; die Wiederinbetriebnahme der Stammstrecke wird für 2024 angestrebt. Die Züge, die dann auf der Heidekrautbahn rollen, werden nicht mehr mit Diesel betrieben – sondern mit Wasserstoff, der mithilfe erneuerbarer Energien gewonnen wird.

Nach einem langen, durch die Teilung Berlins bedingten Dornröschenschlaf ist die Heidekrautbahn zu neuem Leben erwacht und mit anspruchsvollen Vorhaben in das zweite Jahrhundert ihres Bestehens gestartet.

 

Teil 6 ist der letzte Teil unserer Serie zum 120. Jubiläum der Heidekrautbahn und stammt aus der Ausgabe Dezember 2021/Januar 2022 unseres Fahrgastmagazins NEB-Express. Alle anderen Teile finden Sie hier oder in der Rubrik Entdecken & Schmökern.

Die Geschichte der Heidekrautbahn geht weiter: Informationen zur Reaktivierung der Stammstrecke finden Sie unter www.heidekrautbahn.de.

 


Bilder auf dieser Seite: NEB/Sequenz GmbH Text und Redaktion: S. Tombrink | K. Tenkoul