Entdecken-Schmökern RB27 NEB Einschnitte und Abzweige

Die Heidekrautbahn wird 120 Jahre alt – wir werfen daher einen Blick in die Geschichte der Niederbarnimer Eisenbahn. Teil 5 beleuchtet politische Ereignisse in der DDR, die bis heute sichtbare Veränderungen im Streckennetz nach sich ziehen.

Ab den 1960er-Jahren wurden auf der Heidekrautbahn Schienenbusse („Ferkel- taxen“) eingesetzt; hier in Liebenwalde.

„In dieser Nacht hatte ich Dienst auf dem Bahnhof in Wilhelmsruh. Es war eigentlich alles ganz normal. Aber gegen 20 Uhr, wenn ich mich richtig erinnere, kam ein Inspektor von der Bahn und übergab mir einen versiegelten Brief. Er hat sich neben mich gesetzt und gewartet. Um Mitternacht durfte ich den Brief in seinem Beisein entsiegeln. Darin waren Anweisungen, die ab sofort gültig waren: Ich musste die beiden Schranken schließen und es durften keine Personen mehr ankommen. Die Fahrgäste mussten in Schildow aussteigen, die Züge fuhren leer weiter bis Wilhelmsruh. Die Dienststelle wurde mit Kampfgruppen aus den Betrieben besetzt. Die haben sich in meinem Dienstraum breitgemacht und sich an der Grenze aufgestellt, sodass keiner mehr rüber konnte.“  

Eisenbahner Norbert Weinert war zu Beginn der 1960er Jahre Fahrdienstleiter in Wilhelmsruh und Rosenthal und erlebte die Schließung der Grenze in der Nacht zum 13.8.1961 am Bahnhof Wilhelmsruh hautnah mit. Der Verlauf der Heidekrautbahn entlang der Grenze zwischen Pankow und Reinickendorf war zu diesem Zeitpunkt längst zu einer Art Politikum geworden. Die Grenzkontrollen beim Wechsel vom Bahnhof Wilhelmsruh der Heidekrautbahn (Ost) zum S-Bahnhof Wilhelmsruh (West) verschärften sich, auch weil sich die Heidekrautbahn allmählich zum Einfallstor für „Republikflüchtlinge“ entwickelte. „Die Gleise verliefen dort ja direkt an der Grenze, und bis in den Westen waren es keine fünf Meter“, erinnert sich Norbert Weinert. „Wenn man auf der einen Seite ausgestiegen ist, war man im Westen. Unser Dienstgebäude stand genau auf der Grenzlinie, sodass man bereits im französischen Sektor war, wenn man hinten rausgegangen ist.“

Die neue politische Situation nach 1945 hatte auch im Hinblick auf die Streckenführung Spuren hinterlassen. 1952 wurde der Nordbahnhof geschlossen, um den Personenverkehr zwischen Ost und West zu unterbinden und den Schienenverkehr aus dem innerstädtischen Grenzgebiet und Berlin (West) auf den Außenring zu verlagern. Damit ging für die Heidekrautbahn ein knapp zweijähriges Intermezzo am ehemaligen Stettiner Bahnhof zu Ende – die Züge endeten nun in Gesundbrunnen. Aber auch dieser im Westteil Berlins liegende Bahnhof genügte nicht lange den politischen Vorstellungen Ostberlins: Wilhelmsruh wurde wieder Ausgangsbahnhof. Auch die Verbindung zur Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde zwischen den Bahnhöfen Rosenthal und Lübars wurde unterbrochen.

Was 1961 folgte, ist bekannt: In der Nacht zum 13. August wurden die Staatsgrenzen der DDR geschlossen, ein Umsteigen in Wilhelmsruh unmöglich gemacht. Was im Grenzstreifen lag, wurde rigoros entfernt, abgerissen, dem Erdboden gleich gemacht. Die Gleisanlagen wurden demontiert und die Bahnhöfe Wilhelmsruh und Rosenthal von der Landkarte getilgt. Was von der Heidekrautbahn in Berlin-Pankow blieb, waren Reste einer einst florierenden Eisenbahn: zwischen zwei Betonwänden der Berliner Mauer lag das Anschlussgleis zum hoch gesicherten VEB Bergmann-Borsig – ansonsten nur Brachflächen, Wachtürme und „freie Schussfelder“.

Vorübergehend begann und endete die Heidekrautbahn in Schildow. Da von hier aus lediglich eine Busverbindung nach Berlin existierte, wurde die Gleisanlage in Blankenfelde um ein zweites Gleis erweitert. So konnte wieder bis Blankenfelde gefahren werden. Weiter ging es von dort aus nur für Beschäftigte des VEB Bergmann-Borsig – in Bussen.

Wollte man die Heidekrautbahn am Leben erhalten, so war eine deutlich bessere Anbindung an das Ostberliner Verkehrsnetz notwendig. So beschloss die Deutsche Reichsbahn, zwischen Schönwalde und Berlin-Karow einen Haltepunkt an der Stettiner Bahn zu suchen. Der S-Bahnhof Blankenburg bot sich dafür an. Ein recht einfach gehaltener Bahnsteig an der Einbindung der Industriebahn in die Stettiner Bahn, mühselig über heute noch vorhandene Betonstufen zu erreichen, ging schon im Dezember 1961 in Betrieb. Danach fuhr die Heidekrautbahn lange Zeit unverändert auf drei Teilstrecken: von Basdorf nach Berlin-Blankenfelde, von Basdorf nach Groß Schönebeck und von Liebenwalde nach Berlin-Blankenburg. Erst 1976 verbesserten sich die Umsteigebedingungen: Ab dem 2. Februar begannen und endeten die Züge am Bahnsteig des S-Bahnhofs Berlin-Karow.

Die Reichsbahn stellte am 28. Mai 1983 den Reiseverkehr zwischen Basdorf und Berlin-Blankenfelde ein – es gab fast nur noch Leerfahrten. Die Heidekrautbahn zwischen dem VEB Bergmann-Borsig und der Abzweigstelle Schönwalde wurde Streckenrangierbezirk; außer Schildow blieben alle Betriebsstellen fortan unbesetzt. Der längst veränderte Verkehrsstrom fand zum Fahrplanwechsel am 3. Juni 1984 Berücksichtigung: von Karow ging es jetzt ohne Umsteigen nach Klosterfelde oder Groß Schönebeck; Züge nach Liebenwalde standen ab Basdorf bereit.

 

Dieser Artikel ist Teil 5 unserer Serie zum 120. Jubiläum der Heidekrautbahn und stammt aus der Ausgabe Oktober/November 2021 unseres Fahrgastmagazins NEB-Express. Alle anderen Teile finden Sie hier oder in der Rubrik Entdecken & Schmökern.

Die Geschichte der Heidekrautbahn geht weiter: Informationen zur Reaktivierung der Stammstrecke finden Sie unter www.heidekrautbahn.de.

 


Bilder auf dieser Seite: Bernd Persinger Text und Redaktion: S. Tombrink | K. Tenkoul