Entdecken-Schmökern RB27 NEB Wie die NEB zu ihrem Namen kam

Die Heidekrautbahn wird 120 Jahre alt – wir werfen daher einen Blick in die Geschichte der Niederbarnimer Eisenbahn. In Teil 2 gehen wir unter anderem der Frage nach, wie die NEB zu ihrem Namen kam – „schuld“ daran war eine ganz andere Bahn.

Mitarbeitende der Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde am Tegeler Hafen

Der inzwischen abgerissene Bahnhof Hohenschönhausen der Industriebahn

Die Dampflok Reinickendorf verkehrte auf der Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde

„Reinickendorf-Liebenwalde-Groß-Schönebecker Eisenbahn-Aktiengesellschaft“ – dieses Wortungetüm dürfte auch im Jahr 1901, als die ersten Personenwagen von Berlin-Wilhelmsruh in den Niederbarnim rollten, kaum jemandem flüssig über die Lippen gekommen sein. Erst viel später erhielt die AG mit „Niederbarnimer Eisenbahn“ einen leichter über die Zunge gehenden Namen. Zwischen beiden Namen liegen fast drei Jahrzehnte politischer und wirtschaftlicher Umbrüche – und eine heute beinah vergessene Industriebahn.

Im Frühjahr 1905 regte der Königliche Landrat des Kreises Niederbarnim, Sigismund von Treskow, an, „zur Hebung der Industrie in den nördlichen Berliner Vororten“ eine normalspurige Anschlussbahn zu bauen. Es war derselbe von Treskow, der wenige Jahre zuvor erster Aufsichtsratsvorsitzender der Reinickendorf-Liebenwalde-Groß-Schönebecker Eisenbahn geworden war. Die neue Güterbahn verlief von ihrem Ausgangspunkt am Tegeler Hafen u.a. über Wittenau, Lübars, Heinersdorf und Hohenschönhausen nach Friedrichsfelde, wo sie am dortigen Magerviehhof endete. Bereits im Dezember 1907 wurde der erste Streckenabschnitt der „Kreis-Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde“ in Betrieb genommen; bis November 1908 waren auch die Abschnitte bis Tegel fertiggestellt. Wie geplant wurde die neue Eisenbahn an bestehende Bahnlinien wie die Kremmener, Stettiner oder Wriezener Bahn angebunden. In Lübars entstand eine Verbindungskurve zur Heidekrautbahn.

Die Unternehmung des Landkreises zeigte Wirkung: In den Vororten Berlins siedelten sich entlang der Strecke viele Industriebetriebe an. Schon 1912 wurden zu Wasser und auf der Schiene rund 373.000 Tonnen an Gütern transportiert und umgeschlagen, fast 1.000 Schiffe abgefertigt. Gleisanlagen und Ladeeinrichtungen mussten bald ausgebaut werden. Die Industriebahn war schließlich mit Nebengleisen rund 33 km lang.

Mit der Schaffung „Groß-Berlins“ am 1. Oktober 1920 wurden sieben Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke der Metropole eingegliedert, die mit 3,8 Millionen Menschen zur größten Industriestadt Europas avancierte. Das hatte Folgen – sowohl für die Heidekrautbahn als auch die Industriebahn. Lagen zuvor viele Grundstücke, Bahnhöfe und Gleise im Landkreis Niederbarnim, so gehörten sie jetzt zu Berlin. Die Eingemeindung führte zum Streit um die Eigentumsverhältnisse: Das Eingemeindegesetz hatte festgelegt, dass die vom Landkreis gebauten Verkehrswege samt Personal an die Reichshauptstadt übergehen sollten – der Landkreis wollte die Güterbahn jedoch behalten. Die Auseinandersetzung endete im April 1925 mit einem Vergleich: Berlin erwarb für 2,8 Millionen Reichsmark die Industriebahn, um diese umgehend in die Reinickendorf-Liebenwalde-Groß-Schönebecker Eisenbahn-AG einzubringen. Diese war dafür verpflichtet, für die Industriebahn Aktien im Wert von 1,464 Mio. Reichsmark neu aus- und an Berlin zu übergeben, ferner Berlin Schuldverschreibungen in Höhe von 1,336 Mio. Reichsmark zu überlassen und zudem noch zwei Aufsichtsratsposten zu schaffen. Die Bahngesellschaft übernahm die Industriebahn am 1. Juli 1925 gegen ihren erklärten Willen – die Übernahme war nicht nur teuer, sondern kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nach Weltkrieg, Inflation und Steuererhöhungen war die Liquidität angegriffen; die Schließung von Ziegeleien und Kiesgruben beidseitig der Heidekrautbahn und die Konkurrenz durch Ausflugsbusse machten ihr zu schaffen. Zur Übernahme der Industriebahn war die Zustimmung des Deutschen Reichs zur Erweiterung des Geschäftszwecks notwendig. Aus diesem Grund gab sich die Aktiengesellschaft 1927 einen neuen Namen und firmierte fortan als „Niederbarnimer Eisenbahn-AG“. Im gleichen Jahr wurde auch die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf elf erhöht. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Aufsichtsrats aller Berliner Verkehrsanstalten (ab 1928 die BVG) wurde Stadtrat Ernst Reuter – später Regierender Bürgermeister Westberlins – in den Aufsichtsrat aufgenommen; ab 1929 war er Aufsichtsratsvorsitzender.

Nach 1945 und insbesondere nach 1961 verlor die Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde durch die Teilung Berlins und den Niedergang des Güterverkehrs auf der Schiene an Bedeutung. Die Strecke wurde etappenweise stillgelegt und teilweise abgebaut. Der letzte Güterzug fuhr 1997 – neunzig Jahre nach Eröffnung der Strecke. Hier und da sind noch Gleisreste zu sehen; in Weißensee erinnert ein Straßenname an die einstige Industriebahn.

 

Dieser Artikel ist Teil 2 unserer Serie zum 120. Jubiläum der Heidekrautbahn und stammt aus der Ausgabe April/Mai 2021 unseres Fahrgastmagazins NEB-Express.

Die Geschichte der Heidekrautbahn geht weiter: Informationen zur Reaktivierung der Stammstrecke finden Sie unter www.heidekrautbahn.de.

 


Bilder auf dieser Seite: Archiv der NEB | NEB/S. Dörfler Text und Redaktion: S. Tombrink | K. Tenkoul