Entdecken-Schmökern RB27 Heimathelden: Von Brandenburgern und Oktopoden
„NEIN!“ - steht da in der Email, und ist die Antwort von Jürgen Naß aus Zühlsdorf auf meine Frage, ob ich ihn hier als Heimathelden vorstellen dürfte.
Überhaupt bekomme ich auf meiner Suche für die neue Rubrik den Eindruck, dass der Brandenburger ganz allgemein nur wenig Ambitionen hat, sich heldenhaft zu präsentieren.
Auf meiner bisherigen Recherche an der Stammstrecke der NEB traf ich auf wortkarge, manchmal finster drein schauende Personen, die sich, falls man ins Gespräch kam, plötzlich sperrangelweit öffneten, und einem mit sanfter Mine die privatesten Erlebnisse anvertrauten.
Ich frage mich, ob der Brandenburger in seiner Evolution ein Strategie der Tarnung entwickelt hat, ähnlich wie der Oktopus, der sich auf geniale Art seinem Lebensraum anpasst. Denn der Brandenburger integriert sich perfekt in winterdüstere Landschaften als Schatten spärlicher Wegbeleuchtung oder dem Blau bahneigener Sitzpolsterbezüge. - Nur, um mit niemanden sprechen zu müssen!
Waschküchenhaft ist das Wetter beim Interviewtermin mit Jürgen Naß, dem ich schwören musste, dass er hier nicht als Held vorgestellt wird, sondern höchstens als Beispiel, wie man als Dorfbewohner etwas für die Gemeinschaft auf die Beine stellen kann.
Verabredet sind wir auf weitem Feld, nichts als graue Wolken und eine Reihe alter Strandfichten sind in der Ferne zu sehen und Jürgens Hund, Hovawart Leon, der gerade Richtung Horizon läuft.
Wir wollen jetzt über sein Engagement sprechen, wie er sich für freies W-LAN in seinem Dorf einsetzte, als Internetzugang noch Luxus war, oder wie er für die dringend nötige Bus-Anbindung Unterschriften sammelte, oder sich in der Volkssolidarität engagiert, kommen aber unerklärlicherweise andauernd vom Thema ab. Mal beraten wir darüber, wie man Kniebeuge richtig macht, dann staunen wir über einen besonders ambitionierten Hundesprung, reden über ein mehrere hundert Seiten dickes Buch zum Thema „Posing“- Jürgen ist leidenschaftlicher Hobbyfotograf- dann geht es plötzlich um das magische Dreieck „Kosten, Zeit, Qualität“, auf dessen Grundlage der ehemalige Projektmanager offensichtlich auch Teile seines Lebensalltags gestaltet, denn auch für seinen Rentenantritt hatte er einen konkreten Plan: 1. die Anschaffung eines Hundes 2. Engagement im Verein, 3. Hobby weiter ausbauen. Inzwischen gibt er Seniorinnen Computerkurse, damit sie sich mit den Enkeln im Video-Call verabreden können, oder schreibt Behörden an, falls eine Straßenbeschilderung oder eine Busverbindung ins Nachbardorf zum nächsten Lebensmittelgeschäft fehlt.
Damit konfrontiert, dass er manchem Regionalpolitiker so auch ganz schön auf die Nerven geht, lacht er. -Und wie zur besseren Veranschaulichung treffen wir am Ende unseres Rundgangs auf einen Regionalpolitiker mit fast identischem Hund ebenfalls beim Gassi-Gang, den Jürgen nun freundlich aber bestimmt wegen einer ausstehenden Antwort auf seine Anfrage zur Rede stellt. - ein durchaus Loriothafter Moment.
Für sein Zühlsdorf, dass zum großen Teil von Berufspendlern bewohnt wird, in dem nah an der Hauptstadt, das klassische Gefühl einer Dorfgemeinschaft eher selten aufkommt, hatte Jürgen Nass eine Idee. Er begann Dorfbewohner zu fotografieren, machte sogar Portraits von solchen, die er nicht unbedingt mochte, wie er erzählte. Die Annäherung funktionierte und auf der Vernissage haben sich einige Zühlsdorfer zum ersten mal überhaupt getroffen, sogar Freundschaften sind entstanden. Für sein aktuelles Projekt „Lebenslinien“ besucht er die Bewohner eines Seniorenheims im Nachbardorf, um sie zu portraitieren und ihre Geschichten weiterzugeben. Und so breitet Jürgen Nass sein Engagement über die Dorfgrenzen hin aus, beinahe wie ein Oktopus, der seine Tentakel neugierig im Ozean immer weiter ausdehnt.
Und falls sie jemanden kennen, der ähnlich wie Jürgen Naß, aber auf ganz eigene Art wichtig ist für seinen Ort und hier vorgestellt werden sollte, dann senden sie ihren Vorschlag per Email an uns. Wir freuen uns darauf!
Jürgen Naß, geboren 1949 in Halle (Saale) arbeitete als Projektleiter und lebt mit Ehefrau Monika und Hund Leon seit 2004 in Zühlsdorf. Heute gibt er ehrenamtlich Computerkurse im Verein der Volkssolidarität, engagiert sich in der Arbeitsgruppe Nahverkehr und ist Mitglied der Fotogruppe “Sichtweisen“. Infos zu seinem Fotoprojekt: „Zühlsdorfer Gesichter“ sowie den „Lebenslinien“ finden Sie unter www.besterblick.info. Die Webseite seines Hundes lautet www.hovawart-leon.info.
Zugezogen aus Berlin ins Brandenburger Land sucht unsere Kolumnistin Jackie A. erst mal nach allem: dem Anschlussbus, einer guten Bäckerin, neuen Freunden und Menschen, die etwas in ihrer Region bewegen. Für die NEB fährt sie durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes schaffen – unsere Heimathelden.