Entdecken-Schmökern Heimathelden: Wollschweine im Sommerregen
Der Sommerregen prasselt auf die Windschutzscheibe. „Hier müssen wir raus!“, rufe ich eine halbe Sekunde zu spät dem neuen Kollegen Sebastian zu und so rauschen wir die Autobahn immer weiter, haben die Abfahrt verpasst. Mist! Zum ersten Mal bin ich auf meiner Tour durch Ostbrandenburg mit dem Auto statt dem Regio unterwegs und direkt kommen wir zu spät – ausgerechnet zum Wildpark Schorfheide! Die Luchse und Otter werden stinksauer sein, weil sie unseretwegen nicht rechtzeitig gefüttert werden. Denn die Frau für die Fütterung, Wildpark-Leiterin Imke Heyter, wartet im Regen am Parkplatz auf uns, statt wie üblich um 10.30 Uhr hungrigen Schnauzen dicke Fleischstücke aus Eimern zuzuwerfen. Als wir endlich ankommen, winkt uns eine tiefenentspannte Imke aus ihrem Jeep zu, wirklich alles an der Frau wirkt beruhigend. – Niemand muss hungern! Sebastian hat Kekse dabei und Imke das Fleisch, direkt geht es zu den Luchsen. Vorm Gehege wartet schon eine Schulklasse und als die Tiere lautlos aus dem Unterholz hervorkommen, springen die Kinder vor Aufregung auf und ab – sind die gefährlich? Was essen die? Können die schnurren? … Pure Begeisterung!
Seit meinem ersten Besuch hier komme ich immer wieder, streife über das weite Gelände mit Steppen, Moor- und Waldanschluss. Mit Sandwegen, auf denen man nie zu viele Menschen trifft, aber immer eine freie Bank findet, von der aus man Wisente oder die wilden Przewalski-Pferde im freien Galopp Richtung Horizont als kleiner werdende Punkte verschwinden sehen kann.
Der Regen hat aufgehört und staunend beobachten wir mit den Kindern die Tiere. Heimlich beobachte ich auch Imke, versuche, mir ein Bild zu machen von der Frau, die hier seit 28 Jahren tagein, tagaus von Tieren umgeben ist. Die, wie die
anderen 20 Mitarbeiterinnen hier, einen tollen, aber auch körperlich harten Job macht, denn die Arbeit mit Tieren, die Wartung und Reinigung großer Gehege, nicht zu vergessen die Organisation eines Betriebes finden nie ein Ende.
Imke hat ihre langen Haare zum Zopf gebunden, trägt dunkle Hose zu dunklem T-Shirt und hat so einen Humor. Als wir ein Stück spazieren gehen, frage ich sie, was sie für Musik hört, Heavy Metal? Sie lacht, sagt: „Ne! Mehr was mit Perkussion und Trommeln, Heavy Metal ist mir zu dark.“
Na gut. Hätte ja sein können! Imke führt uns durch den Park, zeigt uns den Elchnachwuchs und die schlammverschmierten Wollschweine, die in einer Pfütze dösen. Sie erzählt, dass sie ursprünglich Geografie und Sprachen studiert hat, auch eine Ausbildung zur Tourismus-Fachwirtin machte. Viel reisen wollte sie und manchmal klappt das auch. Dann tourt sie mit dem Wohnwagen durch Schottland oder in die Bretagne zu den Steinfeldern nach Carnac: „Das ist der Wahnsinn, da ist
Stonehenge ein Scheißdreck gegen!“
Als ihr Vater, ein Landwirt und Jäger, Mitte der Neunzigerjahre das Konzept für den Wildpark Schorfheide entwickelte, verkaufte er das Familienhaus in Eberswalde und steckte alles in den Park. Tochter Imke war von Anfang an dabei, hat hier als Betriebsassistentin angefangen. Da gab es noch kein Haus. „Da saß ich mit Bierklapptisch an der Kasse.“ Inzwischen trägt sie für Mitarbeiter und 250 Tiere die Verantwortung und kann es sich nicht mehr anders vorstellen. Vieles im Umgang
mit den Tieren hat sie sich selbst beigebracht. Hat besondere Erfahrungen gemacht. Sie erzählt, wie es ihr vor Jahren einmal schlecht ging und sie sich abends erschöpft auf einem Berg im Wolfsgehege zurückzog und heulte. Wie irgendwann ein alter Wolfsrüde zu ihr kam, immer wieder die Pfoten ausstreckte und schwanzwedelnd den Hintern hochstellte zur Spielaufforderung, so als würde er sagen: „Sei nicht traurig, komm lieber mit spielen!“
Und wo sieht Imke den Wildpark in der Zukunft? Imke wünscht sich die Rückkehr großer Tierarten in Brandenburg, noch mehr pädagogisch zu begleiten, ein tieferes Verständnis von Ganzheitlichkeit, dem Mensch als Teil der Natur zu vermitteln. „Ich kann hier zwar nicht jedem Kind die großen Zusammenhänge beibringen, aber allein, wie der Park wirkt, ist eine wichtige Erfahrung. Die Menschen kommen hier anders raus, als sie reinkamen.“ Das geht auch Sebastian und mir so – rand-
voll mit frischer Luft und Tierbegegnungen. „Macht’s gut … und seid schön wild“, sagt Imke Heyter zum Abschied.
Wildpark-Leiterin Imke Heyter ist 1972 in Eberswalde geboren, hat Geografie und Sprachen studiert und eine Touristik-Ausbildung absolviert. Seit 28 Jahren arbeitet sie im Wildpark Schorfheide.
www.wildpark-schorfheide.de
Jackie A. ist Kolumnistin für das Magazin tip berlin. Für die NEB fährt sie durch Ostbrandenburg und trifft Menschen, die Besonderes für unsere Region schaffen.
Text und Fotos: Jackie A.